Die digitale Transformation der technischen Dokumentation

Die digitale Transformation der technischen Dokumentation

Im Interview mit Roland Schmeling, Geschäftsführer der Schmeling + Consultants GmbH

Technische Dokumentation und Service-Anleitungen für Maschinen und Fahrzeuge oder auch Gebrauchsanweisungen gibt es, seit es technische Maschinen und Anlagen gibt. SCHMELING + CONSULTANTS ist ein Beratungsunternehmen, das seit vielen Jahren Kunden in unterschiedlichen Branchen wie Maschinenbau, Medizintechnik, Automotive, Bauprodukte, Komponenten, Energie, Elektroindustrie, Software und Verwaltungen in der Technischen Kommunikation unterstützt.

Die Herausforderung für viele Unternehmen besteht darin, große Mengen an technischen Informationen mit hohen Sicherheits- und Qualitätsanforderungen effizient und rechtskonform zu erstellen, zu verwalten, zu publizieren und zu verteilen. Dazu gehören beispielsweise Service-Anleitungen für Maschinen oder Fahrzeuge, Gebrauchsanweisungen und Aufbereitungsanleitungen für Medizingeräte, Online-Hilfen oder eingebettete Hilfen für Software und Montagevideos für Bauprodukte. Mit der digitalen Transformation ändert sich auch die Technische Dokumentation erheblich und wird digitaler, multimedialer und anwenderzentrierter. Doch rechtliche Rahmenbedingungen und starre Gewohnheiten behindern diese Veränderungen.

Wir sprechen heute mit Roland Schmeling, Geschäftsführer der Schmeling + Consultants GmbH über den Umgang mit den rechtlichen Bedingungen, die Erwartung der Kunden und Verbraucher, Marktaufsichten und starre Vertragswerke und wagen einen Blick in die Zukunft der technischen Dokumentation in der digitalen Transformation.

DIGITAL FUTUREmag: Jeder, der schon einmal eine mehr oder minder komplexe Anlage oder Maschine verkauft hat weiß, dass ein Teil des Umsatzes von einer guten und sicheren technischen Dokumentation an den Kunden abhängt. Warum ist die Dokumentation für viele Unternehmen dennoch so ein ungeliebtes Kind?

Roland Schmeling: Ist sie das? Das Potenzial, das in diesem Thema liegt, haben viele Unternehmen nach meiner Erfahrung noch nicht erkannt und wissen auch teilweise nicht, wie sie das Thema organisieren sollen. Ist das eher Produktentwicklung, oder Marketing, oder gehört es zum Service oder zum Produktmanagement? Da ist viel Unsicherheit. Zudem prägen Begriffe wie „notwendiges Übel“ und überkommene Aussagen wie „das liest doch bestenfalls der Anwalt“ das Bild. Da hat die Dokumentation ein Image-Problem.

Richtig ist, dass die technische Dokumentation eine produktsicherheitsrechtliche, eine produkthaftungsrechtliche und eine vertragsrechtliche Funktion erfüllt. Diese Rechtskonformität ist wichtig und zieht hohe Qualitätsanforderungen an die Informationen mit sich, aber Rechtskonformität ist nicht die einzige Funktion. Moderne Dokumentation ist multimedial, mobil, auch digital, anwenderorientiert, nützlich, wertschöpfend, verkaufsfördernd, und kann sogar interessant sein.

Sowohl Umfragen aus den USA und den Niederlanden als auch persönliche Erfahrungen im B2B zeigen, dass technische Dokumentation und Anleitungen wirklich gebraucht und auch genutzt werden. Außerdem werden Anleitungen durch die digitale Transformation immer leichter zugreifbar, als PDF-Download oder HTML, und bei der Bereitstellung über das Internet auch für Suchmaschinen durchsuchbar; dementsprechend haben Anleitungen einen Verkaufsaspekt. Auch wenn ich es aktuell nicht mit öffentlich verfügbaren Zahlen belegen kann: Die Frage eines Geschäftsführers „Verkaufen wir mit einer guten Anleitung mehr Produkte?“ würde ich darum heute mit „Ja“ beantworten. Übrigens hat das Landgericht Hannover in einem Fall kürzlich geurteilt, dass eine vorab verfügbare Anleitung eine Leistungszusage ist, was eine Vertragsauflösung nach sich gezogen hat, weil das Produkt der veröffentlichten Anleitung nicht voll entsprochen hat. Also sehen auch Gerichte in Anleitungen diese Verkaufsfunktion.

Persönlich, wenn ich dies noch sagen darf, bin ich als Quereinsteiger – ich habe ursprünglich Physik und Philosophie studiert – gezielt in diesen für mich sehr spannenden Bereich gegangen. Das Spannende ist für mich die Interdisziplinarität: Ingenieurswissenschaften, Text und Bild, Medien wie Video und AR, IT und Digitalisierung, aber auch Pädagogik, Technikrecht, Normung und Product Compliance, UX und Usability, Marketing und Management fließen hier zusammen. Ich erlebe dies an den vielen Ingenieuren und Ingenieurinnen, die in unsere Aus- und Fortbildungen strömen, dass die Beliebtheit wächst.

Wir sprechen übrigens nicht von Technischer Dokumentation, sondern von Technischer Kommunikation, denn darum geht es ja eigentlich. Auf die vielfältigen Möglichkeiten der Technischen Kommunikation werden wir sicherlich noch zu sprechen kommen.

DIGITAL FUTUREmag: Richtig. Viele neue Technologien sind in den letzten Jahren hinzugekommen, die sich auch in technischen Dokumentationen gut einsetzen lassen. Was sind ihrer Meinung nach hier die wichtigsten?

Roland Schmeling: Wir müssen grundlegend unterscheiden zwischen den Technologien in der Informationsentwicklung, in der Informationsbereitstellung und in der Informationsnutzung. In der Informationsentwicklung sind es Technologien wie die Component Content Management Systeme, CCMS oder auch Redaktionssystem genannt, Translation Management Systeme zur Wiederverwendung von bereits übersetzten Texten, Terminologiemanagement-Systeme, dann das sogenannte Authoring Assistance und computerlinguistische Tools, mit denen Textqualität und Konsistenz verbessert und Übersetzungskosten reduziert werden. Im Bildbereich werden die Produktionsketten von den 3D-Modellen der Konstruktion in die Illustration und Animation durchgängiger. Hinzu kommt die einfacher gewordene Erstellung von Video- und AR-Produktionen.
In der Informationsbereitstellung sind es Austauschformate wie DITA, iiRDS oder die VDI 2770 für den Anlagenbau und sogenannte Content Delivery Systeme, die Informationen nicht mehr als Dokumente, sondern nutzungsspezifisch als Module bereitstellen, gegebenenfalls multimedial und – das ist das Spannende – aus verschiedenen miteinander verknüpften Quellen: aus dem Redaktionssystem, aus dem ERP, aus dem PDM. Das kann, wenn es richtig gemacht wird, zu einem enormen Kundennutzen führen. Und wesentlich dazu beitragen, dass Informationen vom Kunden nicht mehr nur geholt werden müssen, sondern der Kunde die Informationen situationsspezifisch angeboten bekommt. Also vom Pull zum Push.
Und bei der Informationsnutzung sind die mobilen Technologien hinzugekommen. Ich habe beispielsweise kürzlich ein sehr komplexes Scharnier in meiner neuen Küche nachjustiert. Dort war ein QR-Code angebracht, der mich in wenigen Sekunden zur Justageanleitung genau dieses Scharniers geführt hat, so dass der Techniker nicht kommen musste. Klasse. Einziger Wermutstropfen: Die Anleitung war noch ein statisches PDF und darum auch auf dem großen Smartphone-Display nicht optimal lesbar.
Aktuell mindestens genauso spannend wie die Frage der Technologien sind für mich jedoch die Rollen und Aufgaben, also die Prozesse, die sich stark verändern oder verändern müssen. Das Silo-Denken hat dazu geführt, dass die Kundenkommunikation unabgestimmt von verschiedensten Abteilungen betrieben wird. Das führt zwangsläufig zu Widersprüchen und damit enormen latenten Risiken.

DIGITAL FUTUREmag: Die Kundenanforderungen an Dokumentationen sind hoch und haben viele rechtliche Anforderungen. Hiermit sind natürlich auch Haftungsrisiken verbunden. Wie können sich die Produzenten technischer Dokumentation hier am besten vorbereiten oder absichern, um diese zu erfüllen?

Roland Schmeling: „Vorbereiten“ ist sicherlich das passendere Wort als das „Absichern“. Ich könnte hier jetzt zu einem mehrstündigen Vortrag ausholen, und müsste das eigentlich auch, denn wir haben es mit einer enorm komplexen und sich laufend verändernden Situation zu tun, im Produktsicherheitsrecht, im Produkthaftungsrecht, aber auch im Vertragsrecht und sogar im Datenschutzrecht.
Wenn wir die Frage mal auf die digitale Transformation beschränken, lautet sie: Wie können Produzenten die Massen an gedruckten Informationen reduzieren, rechtskonform und mit beherrschbaren Risiken, zugunsten digitaler, durchsuchbarer, anwenderfreundlicher Formate.
In unserer Beratung sind es vor allem diese Bausteine, mit denen wir unseren Kunden weiterhelfen: Rechts- und Normenrecherchen, Anforderungsmanagement, durchgängige Informationsprozesse, zum Beispiel von der Risikobeurteilung bis zu den passenden Sicherheits- und Warnhinweisen und damit abgestimmten Warnschild oder Warnmeldung auf der Steuerung des Produkts, aber auch ganz viel Standardisierungsarbeit und Know-how-Aufbau in Schulungen, Workshops und Coachings.
Man muss verstehen, dass sich die Frage der Rechtskonformität und die Qualität der Informationen nicht voneinander trennen lässt. Wenn ein Unfall passiert, weil ein Anwender in der Anleitung etwas missverstanden hat, weil das Anzugdrehmoment ein veralteter Wert war, der Warnhinweis an der falschen Stelle stand, oder in der Schulungsunterlage etwas anders stand als in der Betriebsanleitung, kann man dies leicht sehen. Und das sind Fälle, mit denen wir es täglich zu tun haben.

DIGITAL FUTUREmag: Was sind ihrer Meinung nach die wichtigsten Erfolgsfaktoren für die Erstellung im Bereich der Technische Kommunikation?

Roland Schmeling: Drei möchte ich nennen: Qualität, Qualität, und Qualität. Das ist natürlich jetzt Rhetorik, denn die Frage stellt sich, was die passende Qualität ist und wie wir diese dauerhaft und effizient erreichen. Martin Eppler, der früher in St. Gallen gelehrt hat, schlägt für die Informationsqualität als Definition vor, dass es die Zufriedenheit der Anspruchsteller mit einer Information und ihrer Einbettung in ein Medium ist. Mir gefällt diese Definition, weil sie als Anspruchsteller nicht nur die Anwender, sondern auch den Produzent, die Autoren und die Juristen einschließt und auch das Medium berücksichtigt. Denn darum geht es, dass wir mit effizienten Prozessen anforderungsgerechte Informationsprodukte als Teil der technischen Produkte entwickeln, die zu Kundenzufriedenheit führen.
Bei digital bereitgestellten Anleitungen kommt auch zunehmend ein erheblicher verkaufsfördernder Aspekt hinzu, denn Kunden nutzen vor einer Kaufentscheidung auch das detaillierte Informationsangebot von Anleitungen. So verschaffen sich unsere Kunden Wettbewerbsvorteile durch Anleitungen im HTML-Format oder Instruktionsvideos in Landessprache.

DIGITAL FUTUREmag: Sie sprechen selbst an. Welche Bedeutung hat in den vergangenen Jahren das Thema Multimedia und User-Experience UX bekommen?

Roland Schmeling: Es wird immer wichtiger, weil Kunden erwarten, dass die Hersteller diese Informationskanäle bedienen. Zwei Beobachtungen: Ein Hersteller aus der Sanitärtechnik berichtete kürzlich, dass Teilnehmende an Produktschulungen immer häufiger nach Videos fragen, in denen die Montage der Sanitärprodukte zu sehen ist. Ein großes Handelshaus stattet seine Büros mit mehreren tausend neuen Büroleuchten aus und verlangt vertraglich Instruktionsvideos für die Installation.
Und noch ein Wort zu UX. Früher war die Welt klar, eine gedruckte Anleitung musste dem Produkt beiliegen. Doch mit der digitalen Transformation müssen wir uns jetzt konzeptionell mit der Frage auseinandersetzen, wie wir die Informationslandschaften künftig konfigurieren. Das funktioniert nur mit einer fundierten Auseinandersetzung mit Zielgruppen und ihrem Nutzungskontext, zum Beispiel mit User Journeys. Bis hin zu Usability-Tests, die wir einsetzen, um Nutzen und Wirksamkeit dieser verzahnten Informationslandschaften zu prüfen. Den Nutzen von UX sehen nicht nur Hersteller von großen und komplexen High-Tech-Anlagen, sondern gerade auch Hersteller von Waschbecken, Ventilatoren oder Kettensägen.

DIGITAL FUTUREmag: Bei großen Anlagen und Maschinen können technische Dokumentation auch schnell einmal einen ganzen Aktenschrank füllen. Diese Dokumentationen sind dann schnell veraltet und niemand will sie lesen. Wo geht die Reise hin in Ihrem Bereich?

Roland Schmeling: Sehr spannend. Als Mitglied in einigen nationalen und internationalen Normungsausschüssen wenden wir uns gerade dieser Frage intensiver zu. Beim deutschen Ausstieg aus der Kernenergie konnten wir beobachten, vor welchen Schwierigkeiten die Kraftwerke standen, weil ihre Dokumentation nicht dem aktuellen Zustand entsprach. Das ist aber Voraussetzung für einen ordnungsgemäße Deinstallation. Ganz zu schweigen von den Risiken, die entstehen, wenn beispielsweise ein Wartungstechniker eine Dichtung auswechselt und nicht merkt, dass durch frühere Änderung eines Pumpentyps die bisherigen Dichtungen gar nicht mehr genau passen. Im Anlagenbau sind wir leider vom digitalen Zwilling noch meilenweit entfernt. Aber dauerhaft geht die Reise in diese Richtung, weil uns gar keine andere Wahl bleibt.

DIGITAL FUTUREmag: Ihr Unternehmen ist auch im Bereich Schulung, Ausbildung, Coaching und der Entwicklung solcher Konzepte gut aufgestellt. Welche Trends können Sie hier erkennen?

Roland Schmeling: Fest steht, dass wir in der Technischen Kommunikation enorm viel dazulernen müssen, weil wir viel verändern müssen. In den neunziger Jahren hat sich die Technische Kommunikation viel mit sich selbst beschäftigt, in den zweitausender Jahren mit Prozessen, und jetzt müssen wir über erhebliche Verschiebungen in den Verantwortungen und Rollen nachdenken. Das wirkt sich auf das Lernen aus: Es geht weg von Lehrbuchwissen hin zu nutzerzentriertem Lernen, in dem individuelle Erfahrung eine größere Rolle spielt.
Konkret heißt das, dass wir zwar nach wie vor eine klassische Know-how-Basis in den Schulungen anbieten müssen, aber auch Gelegenheiten organisieren müssen, in denen interdisziplinär und an konkreten Projekten zusammengearbeitet wird, durchaus auch mit Methoden aus dem agilen Kontext, wie Design Thinking. Eine Zukunft, auf die ich mich sehr freue und die wir aktiv mitgestalten werden.

DIGITAL FUTUREmag: Ganz herzlichen Dank für dieses spannende Interview.


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