Im Interview mit Stephanie Kamp, Green Innovation Managerin bei der Syngenio AG
Green Software kann mehr, als die meisten glauben. Deutschland hat hier enormen Nachholbedarf und kann dabei neue Zeichen setzen. Dass Digitalisierung eine nachhaltige Option darstellt, um dem Klimawandel entgegenzuwirken, ist mittlerweile vielen Akteuren bewusst. Dass aber gerade Green Software Potenziale bietet, den Klimawandel abzubremsen, wissen eine Menge Leute nicht. Hierzulande wird derzeit kaum klimaschonende Software eingesetzt, die zudem kosteneffizient ist. Wenn man den Prognosen bis 2030 Glaubenschenken mag, soll ein Anteil von knapp 21 Prozent des Energieverbrauchs auf das Konto von Computern und Anwendungssoftware fallen. Höchste Zeit, dass wir uns beim DIGITAL FUTUREmag im Gespräch mit der Expertin Stefanie Kamp diesem Thema widmen.
DIGITAL FUTUREmag: Wie kann es sein, dass der Energiebedarf im Bereich Digitalisierung, Computer und Software ständig steigt und sich anscheinend niemand darum kümmert, die bereits bekannten Möglichkeiten der Einsparung und Optimierung zu nutzen?
Stephanie Kamp: Es ist bisher bei UserInnen noch nicht angekommen, dass sich auch mit Software Energie sparenlässt – und nicht nur mit der Hardware. Zum einen erscheint es vielen alternativlos und zum anderen wird die Menge der Anwendungen unterschätzt. Nur wenige wissen, dass das Schreiben einer E-Mail etwa so viel Energie verbraucht wie eine 60-Meter-Fahrt mit dem Auto. Allein bei der Masse von weltweit zwei Milliarden täglich verschickten E-Mails, kommt jährlich ein unglaubliches Energieeinsparpotenzial zusammen.
DIGITAL FUTUREmag: Wo liegen Ihrer Meinung nach die größten Schwächen - hinsichtlich ihres Energieverbrauchs -in digitalen Systemen?
Stephanie Kamp: Die größten Schwächen liegen meines Erachtens in der überdimensionierten Programmierung von Software. Da werden viele Funktionen mitgedacht und mitprogrammiert, die AnwenderInnen selten oder gar nicht brauchen. Das bedeutet, ein Zeit- und Energieverbrauch,der nicht benötigt wird – auch wenn es sich teilweise nur um Millisekunden handelt. Ein weiterer Pain Point ist das fehlende Bewusstsein. Nach dem Motto „Viel hilft viel“, haben viele MitarbeiterInnen leistungsstarke Software auf ihrem PC, von denen sie in der Regel nur einen kleinen Teil wirklich einsetzen. Denken Sie nur an Microsoft Excel– wahrscheinlich kann das Gros des Personals nur einen Bruchteil dessen, was das Programm bietet, wirklich nutzen. Hier sollte ein Umdenken bei der Programmierung erfolgen und Software modularer entwickelt werden.
DIGITAL FUTUREmag: Wie hoch schätzen Sie das Einsparpotenzial in diesem Bereich ein?
Stephanie Kamp: Laut der Green IT Allianz und dem Borderstep Institut 2013 entspricht die mögliche Ersparnis allein in Deutschland bis zu 20 Prozent. Das ist in etwa dieselbe Energiemenge, die vier mittelgroße Kohlekraftwerke produzieren. Bei diesem Vergleich wird einem die Dimension des Einsparpotenzials richtig bewusst.
DIGITAL FUTUREmag: In Deutschland arbeiten rund 900.000 SoftwareentwicklerInnen. Wie möchten Sie diese energetisch sensibilisieren?
Stephanie Kamp: Wir versuchen über verschiedene Kanäle das Bewusstsein für das Einsparpotenzial zu schaffen. Wichtig ist dabei deutlich zu machen, dass Beschäftigten Themen wie Nachhaltigkeit oder Corporate SocialResponsibility (CSR) viel präsenter sind als bisher. Und hier kommt dann das sogenannte „Green Software Design“ ins Spiel. Dies erlaubt nachhaltiges Programmieren von klimaschonender, also ressourcensparender Software.
DIGITAL FUTUREmag: Wie gehen Sie vor, um bestehende digitale Systeme zu begutachten und zunächst eine belastbare Einschätzung abzugeben?
Stephanie Kamp: Schwächen bei der eingesetzten Software aufzuspüren ist eine Grundvoraussetzung für die Begutachtung von digitalen Systemen. Dafürhaben wir den „Green Software Expertyzer“ - zunächst für IT-ExpertInnen – entwickelt. Mit einem festgelegten Bewertungskatalog werden klimarelevante Kennzahlen der App- und Webanawendungen von Unternehmen ermittelt. Dabei geht es etwa um die Dauer ihres Einsatzes und deren Stromverbrauch. Ebenso geht es um das Design der Software und ihren eigentlichen Nutzen. Wir nennen das „Active“ und „Passive Green“ Das Ergebnis wird in den im Haushaltsbereich bekannten Effizienzklassen A bis G ausgewiesen.
DIGITAL FUTUREmag: Viele Firmen halten gerade an älterer Software fest, da diese bereits erfolgreich eingeführt wurde und sich praktisch amortisiert hat. Nach der Devise „Never touch a running system“. Was spricht dafür, sich diesem Aspekt aktiv zu stellen?
Stephanie Kamp: Nichts ist so alt wie die Software von gestern. Unsere Rechner werden immer leistungsstärker und die Software passt sich an, um von modernen Tools zu profitieren. Das gilt sowohl in Bezug auf Performanz als auch auf Nachhaltigkeit. Ja, mit einem Update bzw. einer Neuanschaffung läuft man als Unternehmen immer Gefahr, dass es anfangs nicht reibungslos läuft. Sind diese Schwierigkeiten aber überwunden, wird sich die Investition jedoch schnell auszahlen. Um es einmal bildlich auszudrücken: Auch eine alte Dampflok kann einen Güterzug schleppen – aber das ist weder effizient noch nachhaltig, sondern eigentlich nur etwas für Liebhaber. Und mit veralteter Software verhält es sich ähnlich.
DIGITAL FUTUREmag: Welche Hilfe können Sie Unternehmen anbieten, die mit Ihnen zusammenarbeiten und ihren CO2-Fußabdruck reduzieren möchten?
Stephanie Kamp: Wirtschaft und Gesellschaft habendas Thema Nachhaltigkeit mittlerweile auf der Agenda. Unternehmen, die konsequent nachhaltig agieren, schaffen sich einen Wettbewerbsvorteil, etwa in der Kundenansprache. Zumal nachhaltiges Handeln auch immer stärker von staatlicher Seite eingefordert wird – etwa mit der EU-Taxonomie. Man kann davon ausgehen, dass nachhaltige Produkte und Dienstleistungen künftig im Wettbewerb bestehen können. Je mehr Stellschrauben ein Unternehmen in dem Kontext justiert, desto besser kann beispielsweise der eigene Nachhaltigkeitsbericht aussehen.
DIGITAL FUTUREmag: Können Sie uns kurz beschreiben, wie ein Projekt beim Kunden aussieht?
Stephanie Kamp: Wir schauen bei unseren Kunden nicht nur auf einzelne Bereiche, sondern arbeiten interdisziplinär. So unterstützen wir etwa bei der Auswahl effizienter Komponenten und Programmierlösungen. Wir haben ein praxisbewährtes Instrumentarium, um den CO2-Fußabdruck von Software und damit von Unternehmen zu reduzieren. Neben der Ermittlung von Klima-Fallen bei der IT, entwickeln wir auch genau die Anwendersoftware, die Strom und Ressourcen spart. „Green Software Design“ startet flexibel mit der Optimierung einzelner Anwendungen und entwickelt sich zu einer umfassenden Strategie. Mittels „GreenCheck“ betrachten und analysieren wir den Status Quo des Softwareprojekts, bevor dieses über „Green SoftwareDesign“ in einer neuen oder verbesserten Anwendung umgesetzt wird.
DIGITAL FUTUREmag: Frau Kamp, lassen sie uns einmal einen Blick in die Zukunft wagen. Wo geht Ihrer Meinung nach die Reise im Bereich Digitalisierung und Energieverbrauch hin und welche Maßnahmen können Firmen heute schon in Angriff nehmen, um hier langfristig gut aufgestellt zu sein?
Stephanie Kamp: Die in Deutschland eingesetzte Software ist gegenwärtig noch wenig klimaschonend und nicht kosteneffizient. Studien zufolge liegt der durch den Einsatz von Computern und Anwendungssoftware verbrauchte Strom bei nahezu 9 Prozent des gesamten Energieverbrauchs. Bis 2030 könnte er sogar bei 21 Prozent liegen, denn – wie die europäische Energieberatung Enerdata schreibt – steigt der Wert jährlich an. Da der Markt für umweltfreundliche bzw. nachhaltige Produkte und Dienstleistungen immer größer wird, wird die Wirtschaft auch darauf reagieren. Das bedeutet, nachhaltige Erzeugnisse werden stärker nachgefragt. Auch die Bundesregierung und die Europäische Kommission werden diesen Druck verstärken. Da es mit der richtigen Strategie möglich ist, Software umweltfreundlich zu entwickeln und den Einsatz dieser Applikationen so klimafreundlich wie möglich zu gestalten, wird sich „Green Software Design“ mehr und mehr durchsetzen. Nicht zuletzt auch wegen der stark gestiegenen Energiepreise. „Green Software Design“ wird so zu einem wichtigen Beitrag für Klimaschutz und Kostenersparnis.
DIGITAL FUTUREmag: Vielen Dank für das spannende Interview Frau Kamp.