Im Interview mit Prof. Dr. Victoria Bertels, Studiengangsleiterin des Studiengangs Betriebswirtschaft für kleine und mittlere Unternehmen an der Technischen Hochschule Aschaffenburg
Mit rund 3.400 Studierenden ist die TH Aschaffenburg als bayerische Hochschule für angewandte Wissenschaften in der Metropolregion Rhein-Main eher eine kleinere Hochschule, die sich aber seit ihrer Gründung 1995 durch hervorragende Studienbedingungen, Praxisorientierung, hohe Qualität und exzellente Leistungen in Forschung, Lehre, Transfer sowie Weiterbildung auszeichnet und kontinuierlich wächst. In den Studienfeldern Wirtschaft und Recht sowie Ingenieurwissenschaften bietet die Hochschule derzeit 16 Bachelor- und fünf konsekutive Masterstudiengänge an. Über einen aufwändigen Prozess ist ein Entwicklungsplan entstanden, der die Hochschule noch weiter in die technologische Zukunft bringen soll. Im Interview mit Prof. Dr. Victoria Bertels, Leiterin des Studiengangs „Betriebswirtschaft für kleine und mittlere Unternehmen“ (BW KMU) auf dem Campus Miltenberg der TH Aschaffenburg sprechen wir heute über die spannenden Themengebiete wie Blended Learning, Digitale Präsenzlehre, Management in der Zukunft und aktuelle wirtschaftliche Herausforderungen für den Mittelstand.
DIGITAL FUTUREmag: Frau Bertels, Studentinnen und Studenten haben es in den letzten 2 Jahren nicht ganz einfach gehabt. Aus eigenem Familienkreis weiß ich, dass die Studierenden sich die Studienzeit etwas anders vorgestellt haben. Wie haben Sie die Herangehensweise der TH Aschaffenburg erlebt und wie erfolgreich würden Sie Ihre Vorgehensweise einschätzen?
Prof. Dr. Victoria Bertels: Wir als Hochschule bzw. DozentInnen hatten uns auch etwas anders vorgestellt. Daher war es für uns eine große Herausforderung, die Lehre innerhalb von wenigen Wochen komplett auf digital umzustellen. Allerdings waren für uns digitale Angebote in der Lehre kein Neuland, da wir an der Hochschule bereits Studiengänge mit Online-Elementen hatten. Aufgrund dieser Erfahrung sind wir, wie unser Vizepräsident für Lehre und Internationalisierung mal treffend formuliert hat, nicht ins eiskalte, sondern ins lauwarme Wasser gesprungen. So kannten sich zum Beispiel DozentInnen im Studiengang „Betriebswirtschaft für kleine und mittlere Unternehmen“ mit der digitalen Lehre aus, da nach dem Konzept dieses Studiengangs 50% der Lehrinhalte online im Selbststudium und 50% im Hörsaal vor Ort auf dem Campus in Miltenberg vermittelt werden. Hier mussten also „nur noch“ die Präsenzinhalte digitalisiert werden, was allerdings eine enorme Herausforderung darstellte. Dabei wurden wir großartig vom Team Digitale Lehre der TH unterstützt. Es gab zahlreiche Workshops rund um didaktische Aspekte in der Online-Lehre und zu digitalen Tools. Außerdem haben wir uns im Kollegium regelmäßig ausgetauscht zum Beispiel über Tools, die von Studierenden gut angenommen werden. Das alles hat dazu geführt, dass 12% der Studierenden bei einer Befragung angegeben haben, dass sie die Online-Lehre sogar besser finden als die reine Präsenzlehre. Eine große Mehrheit (78%) der StudentInnen wünschen sich ergänzend zu Präsenzvorlesungen zukünftig Online-Elemente.
DIGITAL FUTUREmag: Ein Begriff, der in diesem Zusammenhang immer wieder fällt, heißt “Blended Learning”. In diesem Bereich sind Sie mit Ihrer Hochschule einer der Vorreiter nicht nur hier in der Rhein-Main Region. Wie haben Sie dieses Konzept umgesetzt?
Prof. Dr. Victoria Bertels: Genau dieses didaktische „Blended Learning“ Konzept, nach dem unter anderem im Studiengang „Betriebswirtschaft für kleine und mittlere Unternehmen“ in Miltenberg gelehrt wird, hat uns in der Corona-Pandemie sehr geholfen. Gerade bei der Umstellung der Lehre waren in dieser Zeit die Erfahrungen mit dem “Blended Learning” Konzept ein wesentlicher Erfolgsbaustein. In unserem „Blended Learning“-Studiengang BW KMU gibt es pro Woche zwei Präsenztage, an denen die Studierenden auf dem Campus in Miltenberg sein müssen. Meistens sind es zwei aufeinander folgende Tage, z.B. Montag und Dienstag oder Donnerstag und Freitag. Den Rest der Woche lernen die StudentInnen flexibel über Online-Lernpakete, die sie von DozentInnen auf unserer Lernplattform „Moodle“ zur Verfügung gestellt bekommen. Aufgrund dieses Formats ist es möglich, dass Studierende in BW KMU im Berufsleben stehen, ihre Familienangehörigen pflegen, Kinder großziehen usw. Wichtig ist allerdings, dass BW KMU trotz oder vielleicht sogar dank diesem Format ein Vollzeitstudiengang ist und zu einem vollwertigen Abschluss, nämlich Bachelor of Arts führt. Das heißt, die Inhalte, die hier vermittelt werden, sind mit den Inhalten in einem klassischen BWL-Präsenzstudiengang vergleichbar. Der zentrale Unterschied hinsichtlich der Inhalte besteht darin, dass bei uns im Studiengang der Fokus auf mittelständischen Unternehmen liegt. Das heißt, hier werden sowohl allgemeine Inhalte, z.B. zur Beschaffung, zum Marketing und Controlling gelehrt, als auch darüber hinaus verschiedene Spezialisierungsmöglichkeiten. Hier ist insbesondere der Schwerpunkt „Management KMU“ und das Modul „Vertriebsmanagement im Mittelstand“ zu nennen.
DIGITAL FUTUREmag: Möglicherweise steht eine weitere Corona-Welle bevor. Wie gut ist Ihr Studiengang auf die kommenden Monate vorbereitet und wie lautet hier Ihre Strategie?
Prof. Dr. Victoria Bertels: Aufgrund unserer mittlerweile langjährigen Erfahrung bei der Erstellung und Vermittlung von digitalen Lerninhalten (den Studiengang gibt es seit 2017) sind wir im Studiengang „Betriebswirtschaft für kleine und mittlere Unternehmen“ hervorragend auf die kommenden Monate vorbereitet. Wenn also im Wintersemester eine erneute Corona-Welle kommt, werden wir entspannt die komplette Lehre digitalisieren. Allerdings wollen wir nicht, dass dies auf Dauer notwendig sein wird. Denn unsere Studierenden haben sich ganz bewusst nicht für ein Fernstudium, sondern für ein Studium im Blended-Learning-Format entschieden, bei dem sie sich mit den DozentInnen und vor allem untereinander jede Woche vor Ort auf dem Campus treffen und sich zu unterschiedlichen Themen rund um das Studium, aber auch privat austauschen können. Denn nur so kann ein Netzwerk entstehen, von dem Studierende auch nach dem Studium profitieren können. Genau diese soziale Komponente hat sowohl unseren Studierenden als auch uns DozentInnen sehr gefehlt. In den Corona-Semestern haben viele meiner KollegInnen und ich festgestellt, dass wir unsere Studierenden wirklich vermissen. Daher hoffe ich sehr, dass uns kein komplett digitales Semester erwartet und wir uns regelmäßig zu Präsenzvorlesungen auf dem Campus treffen können. Nichtsdestotrotz werden wir sinnvolle digitale Funktionen und Tools, die wir in den vergangenen Semestern kennen gelernt und zum Ziel haben, dass Studierende Lehrinhalte noch besser verinnerlichen, auch im „normalen“ Leben als Anreicherung einsetzen.
DIGITAL FUTUREmag: Der Mittelstand steht vor großen Herausforderungen. Das Management wird sich in Bezug auf die unterschiedlichen Generationen und den Einsatz von Digitalisierung grundlegend ändern müssen - Stichwort “Neue Arbeitswelt”. Welche Rolle spielt hier die Vermittlung von zukünftigen Managementfähigkeiten?
Prof. Dr. Victoria Bertels: Die Vermittlung von zukünftigen Managementfähigkeiten mit dem Fokus auf den Mittelstand spielt bei uns im Studiengang die zentrale Rolle. Uns ist bewusst, dass in mittelständischen Unternehmen, anders als in Großkonzernen, der Bedarf an guten und vor allem generalistisch ausgebildeten BetriebswirtInnen besonders groß ist. Und genau diese müssen auf der einen Seite über das grundlegende Know-how, zum Beispiel im Marketing oder Vertrieb verfügen. Das heißt, sie müssen wissen, wie potenzielle und bestehende KundInnen zu analysieren sind und über welche Kommunikations- und Vertriebskanäle sowie mit welchen Inhalten diese KundInnen am besten erreicht bzw. angesprochen werden können. Auf der anderen Seite müssen gut ausgebildete BetriebswirtInnen auch wissen, welche Möglichkeiten vorhanden sind, die KundInnen nicht nur offline, sondern auch online, z.B. über soziale Medien, wie LinkedIn, anzusprechen und vom eigenen Produkt zu überzeugen. Genau aus diesem Grund bieten wir, um beim Marketingbeispiel zu bleiben, zum einen die Marketing-Vorlesung mit allgemeinen Grundlagen beispielsweise zur Produkt- oder Kommunikationspolitik und zum anderen die Vorlesung „Digitales Marketing“ an, bei der das Thema der Digitalisierung der Kundenansprache bzw. des Kundenkontakts im Vordergrund steht.
DIGITAL FUTUREmag: Vielen Unternehmen, gerade im Mittelstand, fehlen manchmal Kompetenzen im Bereich Betriebswirtschaft. Wie kann Ihr Studiengang hier mittelständische Unternehmen unterstützen?
Prof. Dr. Victoria Bertels: Genau in dieser Unterstützung liegt unser Grundverständnis des Studiengangs. Sehr häufig, wenn ich mich mit VertreterInnen von mittelständischen Unternehmen austausche, bekomme ich mit, dass die meisten MitarbeiterInnen hervorragende ExpertInnen in ihrem Fachgebiet sind und z.B. hervorragendes Technologie- bzw. Produktwissen haben. Was häufig fehlt, sind die betriebswirtschaftlichen bzw. kaufmännischen Kompetenzen, z.B. im Controlling oder Vertrieb. Und genau dieses betriebswirtschaftliche Fach- und Methodenwissen mit dem besonderen Fokus auf den Mittelstand können wir den zukünftigen und vorhandenen MitarbeiterInnen von mittelständischen Unternehmen vermitteln. Denn wenn unsere Studierende zum Beispiel Interesse für Controlling-Themen mitbringen, können sie neben den Grundlagenvorlesungen „Buchführung“, „Kosten- und Leistungsrechnung für KMU“ und „Bilanzierung und Finanzierung für KMU“ auch den Schwerpunkt „Controlling“ und/oder entsprechende Wahlfächer besuchen. Durch die vielseitige Lehre, aber auch durch den engen Praxisbezug sind unsere AbsolventInnen optimal auf eine Fach- oder Führungsaufgabe, z.B. im Rahmen der Unternehmensnachfolge vorbereitet, wovon mittelständische Unternehmen profitieren können.
DIGITAL FUTUREmag: In den zwei ersten Jahren finden die Vorlesungen für BW KMU-Studierende zum größten Teil auf dem Campus in Miltenberg statt. Könnten Sie den Campus Miltenberg kurz beschreiben?
Prof. Dr. Victoria Bertels: Der Campus in Miltenberg ist seit dem Wintersemester 2017/2018 in Betrieb. Die Räumlichkeiten wurden eigens für den Studiengang geschaffen und bieten neben einer modernen technischen Ausstattung die Möglichkeit, zielgerichtet auf die Bedürfnisse des Studienganges und der Studierenden einzugehen. Neben Vorlesungsaufzeichnungen auf Knopfdruck bietet der Campus auch für StudentInnen so einiges. Gruppenarbeiten und Networking wird bei uns großgeschrieben, dazu laden unsere neu eingerichteten Räumlichkeiten, z.B. die Seminarräume und die eigene Küche mit Tischkicker ein.
DIGITAL FUTUREmag: Lassen Sie uns gemeinsam einen Blick in die Zukunft des Studiengangs BW KMU, seiner strategischen Ausrichtung und dem Angebot für Studierende werfen. Welche Ziele verfolgen Sie langfristig gerade in Bezug auf die neuen Anforderungen der Studentinnen und Studenten?
Prof. Dr. Victoria Bertels: Im Studiengang achten wir bereits heute auf den engen Praxisbezug in unseren Veranstaltungen. So arbeiten wir eng mit vielen mittelständischen Unternehmen zusammen, vergeben in Kooperation mit ihnen Projekt-, Seminar- und Abschlussarbeiten, organisieren Gastvorträge und Lehraufträge von PraxisvertreterInnen, die den Studierenden direkt aus dem Alltag von mittelständischen Unternehmen berichten. Diesen Praxisbezug wollen wir weiter ausbauen. Hierfür haben wir einen Fachbeirat einberufen, der aus Fach- und Führungskräften von mittelständischen Unternehmen besteht und uns dabei unterstützen wird. Dabei ist für uns die Verzahnung aus Wissenschaft und Praxis sehr wichtig. Aktuelle Themen (z.B. Digitalisierung, Nachhaltigkeit) die den Mittelstand bewegen, lassen wir kontinuierlich in unser Studienangebot mit einfließen, damit sich für unsere AbsolventInnen außergewöhnliche Karrierechancen eröffnen.
DIGITAL FUTUREmag: Vielen lieben Dank für dieses spannende Interview und den Ausblick in die Zukunft Ihres Studiengangs.
Das Interview führte Michael Mattis, Herausgeber des DIGITAL FUTUREmag und Veranstalter des DIGITAL FUTUREcongress.