Branchenvertreter und Digitalisierungspartner für eine Industrie am Puls der Zeit

Branchenvertreter und Digitalisierungspartner für eine Industrie am Puls der Zeit

Interview mit Dirk Pollert, Hauptgeschäftsführer bei HESSENMETALL, Verband der Metall-und Elektrounternehmen e.V.

HESSENMETALL, der Verband der Elektro- und Metallunternehmen in Hessen repräsentiert als Arbeitgeberverband mehr als 625 Mitgliedsunternehmen. Er ist Interessenvertreter in Politik und Öffentlichkeit, Verhandlungspartner für Gewerkschaften, fördert Networking und bietet Beratung in arbeits- und tarifrechtlichen Fragen.

Entscheider kompakt: Auch 2020 stehen die Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie vor großen Herausforderungen. Eine besonders wichtige ist die Veränderungsnotwendigkeit durch Digitalisierung. Was kann Ihr Verband diesbezüglich für seine Mitglieder leisten?

Dirk Pollert: Richtig, die Metall- und Elektroindustrie in Hessen ist mitten im digitalen Wandel: Neue Technologien wie die Künstliche Intelligenz oder die Additive Fertigung verändern die Produktion; aus den Unmengen an verfügbaren Daten entstehen neue Geschäftsmodelle. Digitale Tools und mobile Endgeräte ermöglichen eine neue Dimension der Kommunikation und Zusammenarbeit. Dabei werden alle Aspekte eines Geschäftsmodells – egal ob Kundenbedürfnisse, neue Produkte, Möglichkeiten und Herausforderungen im Markt – auf den Prüfstand gestellt und Arbeitsprozesse komplett umgekrempelt, stark verändert oder abgeschafft. Diese digitale Transformation ist eindeutig das zentrale Thema, wenn es um die Wettbewerbs- und Zukunftsfähigkeit der Industrie und der gesamten Wirtschaft in Hessen geht. Für viele Unternehmen ein echter Kraftakt – gerade in Zeiten der sich eintrübenden Konjunktur.
Als Verband unterstützen wir unsere Mitgliedsunternehmen hier mit vielfältigen Serviceangeboten. Mit Fachkongressen und Veranstaltungen wie unseren IT-Foren bieten wir IT-Anwendern und -Anbietern eine Plattform, auf der sie neue Produkte und Services bzw. neue Kunden kennenlernen können. Darüber hinaus können unsere Mitglieder ein breites Weiterbildungsangebot nutzen: durch das Seminar- und Coaching-Angebot unseres Bildungswerkes sowie die Kooperation mit mittlerweile drei hessischen Hochschulen und dem Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum in Darmstadt. Unser klassisches Kerngeschäft ist die tarif- und arbeitsrechtliche Beratung unserer Mitglieder. Hier spielen digitale Themen eine immer größere Rolle, sei es beim mobilen Arbeiten oder beim Datenschutz. Auch hier möchten wir unsere Mitglieder bestmöglich auf die damit verbundenen Herausforderungen vorbereiten: in der persönlichen Beratung, durch Schulungen und Leitfäden.

Entscheider kompakt: Laut einer Mitgliederbefragung sehen sich erst die Hälfte Ihrer Mitgliedsunternehmen als ausreichend digitalisiert an. Da scheint noch einige Luft nach oben zu sein. Wo sehen Sie die entscheidenden Hemmnisse auf diesem Weg?

Dirk Pollert: Das sehe ich genau umgekehrt: Schon die Hälfte der Unternehmen in unserer Umfrage schätzt sich als digital ein – meiner Meinung nach ganz ordentlich, wenn man bedenkt, dass die Digitalisierung eines Unternehmens eine sehr komplexe Aufgabe ist.
Es stimmt aber, dass bei der Digitalisierung der Produktion und entlang der Wertschöpfungsketten noch Luft nach oben ist. Die große Mehrheit der M+E-Unternehmen ist sich dieser Herausforderung aber bewusst. Teilweise oder vollständig digitale Produkte und Dienstleistungen haben in der hessischen Wirtschaft heute schon eine große Bedeutung und sind wichtige Umsatztreiber. Und ihr Anteil wird weiter wachsen.
Das spiegelt sich übrigens auch in der Investitionstätigkeit der Unternehmen wider: In den kommenden fünf Jahren wollen die Unternehmen noch einmal deutlich mehr in Digitalisierungsmaßnahmen investieren. Dabei gibt es aber eine ganze Reihe an Hindernissen: Vor allem fehlen die notwendigen Fachkräfte, um Digitalisierungsprojekte voranzutreiben. Ganz allgemein fehlt oft das unternehmensinterne Knowhow, um komplexe Transformationsprozesse anzustoßen und erfolgreich umzusetzen. Und dann scheitern ambitionierte Digitalisierungsprojekte nicht zuletzt an der unzulänglichen Breitbandinfrastruktur.

Gerade kleine und mittlere Unternehmen brauchen Unterstützung - auch seitens der Politik, um Mitarbeiter passgenau zu qualifizieren, den Nutzen der Digitalisierung für das eigene Unternehmen herauszuarbeiten oder digitales Knowhow aufzubauen. Deshalb haben wir Ende letzten Jahres die Ergebnisse unserer Mitgliederbefragung zusammengefasst und Ansatzpunkte für eine innovative, industriefreundliche Wirtschafts- und Digitalisierungspolitik definiert. Dabei geht es insbesondere darum, bereits bestehende Strukturen und Maßnahmen wie z.B. die Initiative Digitales Hessen oder das Mittelstandkompetenzzentrum weiter zu nutzen und auszubauen. Unternehmen brauchen eine fundierte Hilfe zur Selbsthilfe, die es ihnen ermöglicht, von Good Practices zu lernen und Wissen in den Bereichen aufzubauen, in denen sie es brauchen. Deshalb wäre es sinnvoll, den vom hessischen Wirtschaftsministerium initiierten Digi-Check weiterzuentwickeln, branchenspezifisch aufzuschlüsseln und Förderangebote zur Finanzierung von Weiterbildungsmaßnahmen für Mitarbeiter auszubauen.

Entscheider kompakt: Künstliche Intelligenz hält immer stärker Einzug in die Produktionsprozesse. Kann man sagen dass sich hier einige Befürchtungen nicht bestätigt, aber auch viele Hoffnungen noch nicht erfüllt haben?

Dirk Pollert: Gerade hat eine Studie den potentiellen Beitrag der Künstlichen Intelligenz zum deutschen Bruttoinlandsprodukt bis 2025 auf 13 Prozent geschätzt. Wenn sich KI in der Breite durchsetzt, werden wir die nächste Stufe der Digitalisierung erreichen. Sie hilft, effizienter zu sein und neue Geschäftsmodelle zu entwickeln; Produktionsprozesse lassen sich optimieren und die Maschinen und Dienstleistungen werden durch eingebettete KI-Lösungen um intelligente Funktionen erweitert. Und die Einsatzmöglichkeiten beschränken sich nicht nur auf Produktionsprozesse, sondern auch auf weitere Unternehmensbereiche wie Vertrieb, Logistik oder in der Personalabteilung. Durch Effizienzsteigerungen setzt KI Arbeitskraft und Ressourcen frei, um in neue, dringend notwendige Innovationen investieren zu können.
Bei unseren Mitgliedsunternehmen sehen wir, dass der KI zwar großes Potenzial zugeschrieben wird, oft aber noch nicht klar ist, wo sie gewinnbringend im eigenen Unternehmen eingesetzt werden kann: Rund Dreiviertel der befragten Unternehmen halten KI für eine zentrale Zukunftstechnologie, aber weniger als 20 Prozent verwenden sie schon. Aber: die KI kommt genau zur richtigen Zeit, in der sich die Wirtschaft sowieso in einer Transformationsphase befindet. Jetzt gilt es, bei den Unternehmen die entsprechende Awareness zu schaffen. Denn KI ist maßgeblich für unsere zukünftige Wettbewerbsfähigkeit im technologischen Wettlauf mit China und den USA. Im Rahmen ihrer KI-Strategie stellt die Bundesregierung bis 2025 3 Milliarden Euro für Investitionen in diesem Bereich bereit – im Vergleich dazu will China bis 2030 bis zu 150 Milliarden in KI investieren. Umso wichtiger ist es, dass Innovationen durch KI möglichst bald in den deutschen Mittelstand mit seinen zahlreichen Weltmarktführern Einzug halten.

Der Standort Hessen hat übrigens sehr gute Chancen, in diesem Wettbewerb die Nase vorn zu haben. Aber Hessen muss diese Chancen auch nutzen und die Vernetzung mit der Breite der KMUs und des industriellen Mittelstandes vorantreiben. KI-Forschung darf nicht nur horizontale Grundlagenforschung sein, sondern muss vor allem auf konkrete Anwendungen in Wirtschaft und Industrie ausgerichtet werden. Hier könnte beispielsweise ein KI-Check Unternehmen in einem ersten Schritt zeigen, wie sie Künstliche Intelligenz für sich nutzen können. Denn am Ende muss der Einzelne entscheiden, wo er die Technologie am gewinnbringendsten für sich einsetzen kann.
Auch wir als Verband möchten unsere Mitglieder hier unterstützen und haben das Thema Künstliche Intelligenz deshalb in diesem Jahr zum Schwerpunktthema gemacht. Beispielsweise zeigen wir auf unserem IT-Forum am 3. März den Teilnehmern in Kooperation mit Prof. Peter Buxmann von der TU Darmstadt praxisnahe Anwendungsmöglichkeiten der KI.

Entscheider kompakt: Mitarbeiter arbeiten heute zunehmend mit digitalen Endgeräten und die Arbeitsorte verändern sich. Welche arbeitsrechtlichen Herausforderungen ergeben sich dadurch?

Dirk Pollert: Digitale Technologien bieten die Möglichkeit, die Arbeitswelt sowohl auf die Flexibilitätsbedürfnisse der Beschäftigten als auch der Unternehmen hin auszurichten. Unternehmen ermöglichen ihren Mitarbeitern gerne Home Office und mobile Arbeit, wenn es zur Tätigkeit passt. Mit zunehmender Digitalisierung gibt es auch mehr Möglichkeiten hierzu. Solche Angebote sind am Ende auch gut für die Arbeitgebermarke und gehören in jede Employer-Branding-Strategie. Das deutsche Arbeitszeitgesetz ist in diesem Zusammenhang aber eine echte Herausforderung. Danach müssen Sie, wenn Sie kein leitender Angestellter oder Geschäftsführer sind, nach acht bis zehn Stunden werktäglicher Arbeit alles fallen lassen. Das Ganze hat auch noch an einem Stück mit kurzen Pausen zu passieren. Konstellationen bei denen Sie morgens arbeiten, nachmittags Pause machen und sich abends nochmal an den Computer setzen, können Sie damit gar nicht abbilden. Oder warum soll man nicht beispielsweise drei Tage in der Woche zwölf Stunden arbeiten dürfen, am Donnerstag dann den Rest und Freitag frei haben? Das alles macht es sehr schwierig, Arbeitszeitmodelle zu finden, in denen man Erfolge schuldet und nicht Anwesenheit – die Technik ist bereits im 21. Jahrhundert, unser Arbeitsrecht auch 20 Jahre später leider noch nicht.

Technologien wie Künstliche Intelligenz und Predictive Maintenance treiben das mobile Arbeiten weiter voran. Mittlerweile kann die Fernwartung vom Home Office aus oder aber an jedem beliebigen Platz auf der Welt per Laptop, Tablet oder App gesteuert werden. Als Tarifpolitiker drängt sich natürlich die Frage auf, wie solche Arbeitseinsätze zukünftig zu vergüten sind. Dies sind dann aber auch Arbeitsplätze, die bei globaler Tätigkeit 24 Stunden rund um die Uhr Lösungen bieten müssen. Da tun wir uns mit dem deutschen Arbeitszeitgesetz schwer und müssen sehr aufpassen, dass solche Arbeitsplätze vor Ort gar nicht erst entstehen oder nicht verlagert werden, womöglich noch mitsamt der dazugehörenden hervorragend ausgebildeten Ingenieurin.

Entscheider kompakt: Bereits zum zweiten Mal ist HESSENMETALL in diesem Jahr auf dem Digital Future Congress in Frankfurt vertreten, neben einem Stand auch mit einem Slot im Vortragsprogramm und einem Workshop. Welche Erfahrungen können Sie weitergeben?

Dirk Pollert: Für uns war die Teilnahme am Digital FUTUREcongress im letzten Jahr ein echter Erfolg. Unser Ziel war es, unsere Angebote im Bereich digitale Transformation bekannt zu machen und uns bei hessischen IT-Unternehmen als Netzwerk und als Partner für die Arbeitsbeziehungen 4.0 vorzustellen. Ausgehend von den Gesprächen, die wir an unserem Stand geführt haben und den Kontakten, die wir auf der Messe geknüpft haben, kann ich sagen, dass uns das gelungen ist: Wir konnten durch unseren Auftritt auf der Messe und die Gespräche im Nachgang mehrere Unternehmen von unseren Services überzeugen und als Mitglieder gewinnen.

Auch die Mitgliedsunternehmen, die uns auf die Messe begleitet haben um sich über neue digitale Trends zu informieren, hat das Angebot überzeugt. Das ist genau das, was wir wollen: IT-Anwender und -Anbieter in einer Win-Win-Gemeinschaft zusammenbringen – wie sich gezeigt hat, ist der Digital FUTUREcongress hier in Hessen der richtige Ort dafür. Das war für uns Grund genug, nach dem gelungenen Auftakt 2019 auch in diesem Jahr bei der Messe mit einem Stand, einem Vortrag im Konferenzprogramm und einem Workshop dabei zu sein. Wir freuen uns auf spannende Gespräche!

 

Das Interview führte Erika Alkemper-Heinrich

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